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Gar ned so schlecht

Andreas L. Hofbauer

Ersatzkaffeelesen

Veröffentlicht am 09.06.2023

Gar ned so schlecht war er, der Ziguri-Kaffee, beliebte meine Oma – Jahrgang 02 des 20. Jahrhunderts – in Wien häufig zu sagen. Oder so tönte es mir wenigstens im kindlichen Ohr, und ich vermeinte dabei, obwohl es für mich überhaupt keinen Kaffee, sondern Kakao zu trinken gab, hoch aufragende Zikkurats im ewigen Sand zu sehen, die ich aus dem Was-ist-was-Buch kannte. Oder möglicherweise auch jauchzende Hexen? Aber die Höhlen von Zugarramurdi in Navarra waren mir freilich noch unbekannt. Was wusste ich schon vom größten Hexen-Coven diesseits des Atlantiks,1 weit weg also von Salem in Massachusetts? Nichts davon, dass dieses Wort sich vom alten covin herleitet und nicht unbedingt gleich eine Versammlung (conventus) aufruft. Recht besehen also Kollusionen? Dass die Wurzel der Zichorie mit Zucker und Kaffee zu tun hat, erklärte man mir später. Zuckerln aber schmeckten trotzdem gut, auch wenn sie die Zähne ruinierten.

Die Zichorie (die Hackfrucht Wegwarte; zur selben Pflanzenfamilie der Korbblütler gehörig wie etwa Endivie und Stevia) wurde und wird als Rohstoff zur Herstellung von Ersatzstoffen genutzt. Bereits im Mittelalter war ihr Anbau als Nährpflanze unter Karl dem Großen anbefohlen worden und Prospero Alpini, der um 1580 den Kaffee in Ägypten kennenlernte, beschreibt diesen mit den Worten »cichoriae decocto gustu proximus«: »an Geschmack gleicht er am meisten der Abkochung von Zichorien«2. Zu Anfang war es daher eher eine Geschmacksfrage, was hier nun Surrogat wovon hätte sein können. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts aber wird in den Niederlanden die Richtung dieses Verhältnisses festgelegt und das Pulver aus gerösteten Zichorienwurzeln als Ersatzkaffee erstmals erwähnt, seine Herstellungsmethode allerdings geheim gehalten. Erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts gelangt diese nach Frankreich und Deutschland. Was zuerst gemahlenen Kaffeebohnen zugesetzt wurde, entwickelte sich im kameralistischen Dirigismus unter Friedrich II. zum Surrogat namens »Preußischer Kaffee« (seit dem 19. Jahrhundert Muckefuck genannt), der nun gänzlich ohne Beigabe von »echtem« Kaffee hergestellt werden sollte. Nachdem es zunächst ein strikt monopolistisches System für den Zichorienanbau und -handel etwa in Braunschweig gab, stellten in späterer Folge zahlreiche Zichorienfabriken unter den Bedingungen marktwirtschaftlichen Wettbewerbs um – auf die Rohzuckerproduktion aus Zuckerrüben. Die Unternehmen der Ersatzkaffeeproduktion wandelten sich zu Unternehmen der Zuckerindustrie, die Ersatz für Rohrzucker liefern sollten. Die agrar- und verarbeitungstechnischen Einrichtungen ließen sich mühelos von dem einen aufs andere reformieren. Grund für diese Entwicklung war, dass man die Luxusgüter (im Sinne Werner Sombarts) Kaffee und Zucker unter Umgehung des transatlantischen Handels autark produzieren und vertreiben wollte. Kolonialwaren waren...

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Andreas L. Hofbauer

ist Philosoph, Autor, Psychohistoriker und Übersetzer. In zahlreichen Büchern und Essays setzt er sich wiederholt mit ökonomischen und gesellschaftlichen Aspekten der Erkenntniswissenschaften auseinander. Gemeinsam mit Walter Seitter und Ivo Gurschler ist er Herausgeber der Schriften zur Vekehrswissenschaft. Zuletzt erschienen sind u.a. HER (gem. mit René Luckardt) und Bleibende Steinzeit. Er lebt und arbeitet in Berlin.
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