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Symbolische Transplantate sind notwendig!

Zoran Terzić

Politische Transplantate

Veröffentlicht am 20.04.2018

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Fremdheit ist überall, aber Fremde sind nur dort, wo wir sie als solche definieren. 1970 schlug Robert Filliou vor, zwei Kriegsmonumente in Belgien und den Niederlanden auszuheben und sie auf das jeweilige gegnerische Territorium zu transplantieren. Die Konfrontation der Öffentlichkeit mit dem Heldenkult des anderen unterstreicht die jedem Krieg innewohnende Eitelkeit. Symbolische Transplantationen sind trotz ihres bisweilen utopischen Überschwangs zu einer populären künstlerischen Strategie geworden. 2012 gründete Yael Bartana die »Jüdische Renaissance-Bewegung in Polen« (JRMiP), welche die Umsiedlung von 3.300.000 Juden nach Polen forderte, um die einst vernichtete Gemeinde wieder aufzubauen. 2015 verpflanzte Christoph Büchel während der Biennale in Venedig eine Moschee in eine ungenutzte katholische Kirche. 2017 installierte Manaf Halbouni im Zentrum Dresdens drei Busse vertikal und transplantierte dadurch symbolisch Barrikaden aus dem syrischen Kriegsgebiet. Andere künstlerische Konzepte verwenden Transplantate wörtlich (ganz zu schweigen von Körpererweiterungen von Stellarc bis Orlan), wie Łukasz Surowiec, der im Jahr 2012 Bäume, die in der Nähe von Ausschwitz-Birkenau wuchsen, aushob und aufs Berlin-Biennale-Ausstellungsgelände verpflanzte.

Symbolische Transplantationen reichen über die politische Kunst hinaus und gehen wohl auf prähistorische Tauschrituale zurück. Sie tauchen auch in bizarren Sexualtherapien der 1950er Jahre auf, inklusive bürgerlicher Ehefrauentausch- und Swingerpraktiken. Dies wird häufig in der heutigen Populärkultur durchgespielt. Reality-TV-Shows laden zwei Familien ein, einzelne Familienmitglieder für eine Woche auszutauschen – die Idee ist, dass die ausgewählten Familien aus verschiedenen sozialen Schichten stammen oder unterschiedliche ethnische Hintergründe haben. Der Sinn, die Konfrontationsmaschinerie anzufeuern, liegt darin, sich mit dem spezifischen anderen zu befassen, nicht mit dem allgemeinen anderen.

Es überrascht nicht, dass sich auch viele populäre Filme mit sozialen Transplantationen befassen. Viele davon entstammen den postödipalen Achtzigern: Vater verwandelt sich durch magisches Serum bzw. magischen Schädel in Sohn (Like Father, Like Son, 1987; Vice Versa, 1988), meditierender alter Mann wird zum Punk-Kid (Dream a Little Dream, 1989), verkrüppelte reiche Lady will mit einer jungen Frau den Körper tauschen, endet aber als Steve Martin (All of Me, 1984), Mutter schlüpft in den Körper der Tochter, nachdem sie Glückskekse gegessen hat (Freaky Friday, 2003), Opa wird Enkel (18 Again, 1984). The Hot Chick (2002) und Switch (1991) führen Gender-Swaps in das Transplantationsgenre ein. Darüber hinaus gibt es egozentrische Transplantationen: Teenager tauscht Körper mit älterem Selbst (13 Going on 30, 2004; Big, 1988) und umgekehrt (17 Again, 2009). Science-Fiction-Filme spielen Transplantationen von Geist und Körper mit technologischen Mitteln durch. Das Bewusstsein wird dabei oftmals auf ein anderes Medium übertragen, der Geist der Person...

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Zoran Terzić

Zoran Terzić

geboren 1969 in Banja Luka, studierte Soziologie, Jazz-Piano und Kommunikationsdesign in Nürnberg und Wuppertal sowie Bildende Kunst in New York und widmete sich danach dem Schreiben. Promotion zum Dr. phil. 2006. Er lebt seit 2001 in Berlin.