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Lieber Paul 3

Trmasan Bruialesi, 13.12.2017

Lieber Paul,

cogito ergo sum war gestern, heute weiß ich es besser. Bis anhin war ich überzeugt, wenig beeinflussbar und mit einem eher rationalen Geist gesegnet zu sein (gesegnet dürfte hier wohl die falsche Wortwahl sein), doch gestern war ich in der Nationalgalerie und noch dazu in Trance, denn die Ausstellung zum Thema »Das bessere Ich« bot zu jeder vollen Stunde eine Hypnose-Séance. Während die Teilnehmenden entspannt in ihre Sitzsäcke absackten, wob eine weibliche Stimme mit monotonen Sprechmustern eine Öffnung zum Unterbewusstsein, in das wir in zehn zögerlichen Schritten abtauchten. Du kennst mich, das Loslassen des kritischen Verstandes fällt mir schwer, doch im Kontext einer Kunstausstellung ließ ich es geschehen, schloss die Augen und gab mich dem retinalen Schauspiel hin, das meine gelangweilten Sehnerven produzierten. Vielleicht erinnerst Du Dich an die Passage in Friedrich Engels’ »Dialektik der Natur», in der er am Beispiel des berühmten Botanikers und Zoologen Alfred Russel Wallace mit beißender Ironie über die Gedankenlosigkeit und Leichtgläubigkeit englischer Naturforscher herzieht? Wallace meinte nämlich, mit Hilfe der damals noch Mesmerismus genannte Hypnose die Richtigkeit der Gallschen Schädelkarte nachweisen zu können. Diese von Franz Joseph Gall im späten 18. Jahrhundert entwickelte Lehre sollte anhand der Schädelstruktur Rückschlüsse auf die seelisch-geistigen Eigen­schaften eines Menschen liefern. In seinem Bestreben, vom Äußeren auf das Innere eines Menschen zu schließen, war Gall übrigens ein würdiger Nachfolger Johann Caspar Lavaters, dessen schon damals heftig kritisierte Physiognomik im 18. Jahrhundert so populär war, dass es Mode wurde, in Gesellschaft Silhouetten von den Gästen zu zeichnen und daraus deren Charaktereigenschaften herauszulesen. Sowohl Lavaters Schattenrisse wie auch die Gallschen Schädelkarte boten dank ihrer Abstraktion einfache Lösungen in einer komplexer werdenden Welt, waren so etwas wie Gesichtserkennungsalgorithmen »avant la lettre« – und trugen nicht zuletzt zur pseudowissenschaftlichen Unterfütterung der Rassentheorien der Nationalsozialisten bei. Wie dem auch sei, um seine Theorien zu untermauern, sammelte und vermaß unser Dr. Gall eine große Zahl von Schädeln, »meist von Irrsinnigen und Verbrechern«, aber auch von bedeutenden Persönlichkeiten seiner Zeit. Im Namen der Selbsterkenntnis plünderten Galls Anhänger in der Folge unzählige Gräber, wobei auch die Schädel von Joseph Haydn, Gaetano Donizetti und René Descartes verschwanden – was im Falle von Descartes ja nicht einer gewissen Ironie entbehrt, lautete dessen berühmte Devise doch: »Larvatus prodeo« (»Ich trete mit einer Maske auf«). Das ist Aufbrechen der eigenen Silhouette, das ist Tarnung. Der oben schon erwähnten Alfred Russel Wallace entwickelte übrigens parallel zu Charles Darwin eigene Ideen zur Evolutionstheorie, unter anderem beschrieb er das Phänomen des Aposemantismus oder der Warnfärbung, also das Gegenteil von Tarnung, als Resultat der natürlichen Selektion der Arten. So signalisiert etwa ein giftiger Frosch seinen Fressfeinden mit einer auffälligen Färbung seine Ungenießbarkeit. Versunken im Sitzsack meines Unterbewusstseins erlaubte ich mir die ketzerische Frage, ob ein Individuum, das infolge Mutation seine Färbung ändert, gegenüber seinen getarnten Artgenossen nicht ein höheres Risiko eingeht, entdeckt und gefressen zu werden? Kommt noch dazu, dass auch der Predator am Gift verenden würde, und beide diese lebenswichtigen Informationen nicht an ihre Nachkommen vererben könnten? Vielleicht war die Idee von Franz Joseph Gall doch nicht so übel, die Schädel der Toten zu vermessen und nach Informationen abzusuchen? Vielleicht plagten Wallace die gleichen Zweifel? Und trieb ihn deshalb, wie Friedrich Engels lästert, »die Leidenschaft zu einer Reihe von Selbsttäuschungen, kraft deren er die Gallsche Schädelkarte in allen ihren Details bestätigte«? Engels selbst kam nach eigenen erfolgreichen Hypnose-Versuchen an einem zwölfjährigen Jungen zum Schluss, dass sich immer erst Effekte einstellten, wenn dem »Patienten zu verstehn gegeben [wurde], was von ihm erwartet wurde.« Das war der Moment, an dem ich die noch andauernde Séance verließ und mich auf die Straße begab, wo die Geschichte eine unerwartete Wendung nahm in Gestalt eines überaus leutseligen Herrn, der sein Auto mitten auf der Straße anhielt, das Fenster herunterkurbelte und mich zu sich rief: Wo es denn hier zur Autobahn gehe, fragte er mich mit italienischem Akzent, er habe sich verfahren und müsse so schnell wie möglich zurück nach Italien, wo seine deutsche Frau auf ihn warte, aber das Navi seines Mietautos sei defekt, er heiße übrigens ­Franco und sei Vertreter für italienische Mode, Armani und solche Sachen, und beruflich unterwegs, und er fragte mich nach meinem Namen und woher ich käme und dass ich ihm sehr sympathisch sei, er gäbe mir jetzt seine Karte und wenn ich je nach Turin käme, sollte ich ihn anrufen, und weil er eh auf dem Rückweg sei, möchte er sich nun für meine Hilfe bedanken und mir einen Ledermantel aus seiner Kollektion schenken – echt Nappa – und noch einen zweiten für meine Frau. Er kramte vom Rücksitz einen Plastikbeutel hervor und noch einen zweiten, aber bevor er mir die Waren durchs Seitenfester reichte, zeigte er mir im Modekatalog die beiden Modelle, feinste Ware, Preise weit über 1000 Euro. Er sei ihm im Übrigen etwas peinlich, sagte der Mann lachend, aber gestern sei er im Casino gewesen, habe das ganze Geld verspielt – ui, seine Frau würde ihm die Hölle heiß machen – und nun sei das Benzin fast alle (auf die Benzinuhr zeigend, die tatsächlich auf Leer stand), ob ich ihm nicht etwas unter die Arme greifen könne? Ich fühlte in der einen Hand das Nappaleder, mit der zweiten gab ich ihm 100 Euro (mehr hatte ich nicht), worauf er leicht indigniert meinte, dafür gäb’s aber nur einen Mantel, ob’s mir was ausmachen würde? Nahm das Stück, verabschiedete sich überschwänglich und fuhr davon. Im Hotelzimmer angekommen überprüfte ich die ­Marke des Ledermantels. Wert: knappe 50 Euro. Weisst Du übrigens, woher das französische Wort für Tarnung stammt? Camouflage kommt von »camouflet«, das sich wiederum vom Begriff »chault ­moufflet« (wallonisch so viel wie »heiße Backe«) ableitet und soviel bedeutet wie »Rauch, den man jemand boshaft ins Gesicht bläst«. Und nicht weit davon wohnt der Kamuff oder Kamuffel, ein schlechter Kerl und Falschspieler.

Dein Trmasan

Trmasan Bruialesi, 10.04.2018

Lieber Paul,

ich mag die billigen Jerry-Cotton-Heftchen aus den 60ern. Da wird noch anständig geraucht und Whiskey gekippt – und da werden Fotos noch ganz genau unter die Lupe genommen. Ein Umstand, den ich heute oft schmerzlich vermisse, vor allem bei mir bekannten Kuratorinnen und Kuratoren. Kürzlich sagte mir eine Kuratorin am Telefon, dass sich seit der Digitalisierung der Fotografie eine solche Fragestellung wohl erübrigt habe; dabei hatte ich sie nur gefragt, inwiefern, würde man ein Negativ verkehrt in die Bühne des Vergrößerungsgerätes einlegen, ein derart belichtetes Positiv noch der darauf abgebildeten Wirklichkeit entspräche? Ein solches Positiv, so meine Annahme, sei doch identisch mit dem seitenverkehrten Bild auf der Mattscheibe einer Kamera und entspräche – da die Weltkoordinaten bereits in Kamerakoordinaten übersetzt vorlägen – mehr dem Blick des Fotografen auf ein (Ab-)Bild der Welt als der Welt an sich. Ja, wollte ich weiter ausführen, unser Blick auf unser Spiegelbild sei doch gleichermaßen eine erste Abstraktion von Wirklichkeit; wir bräuchten sogar den Blick über zwei Spiegel, um uns so zu sehen wie die Welt uns sieht. Doch dazu kam ich nicht, da sich sowohl die Fragestellung, so die Kuratorin, wie auch eine Antwort im Zuge der Digitalisierung erübrigt hätten. Dabei scheint mir die Spiegelbildlichkeit (oder Händigkeit) nach wie vor eine der substantiellsten fotografischen Fragen zu sein. Nicht nur für den linkshändigen Mörder bei Jerry Cotton, der – hätte ein schussliger Polizeilaborant den Film falsch herum eingelegt – als fotografisch bewiesener Rechtshänder dem elektrischen Stuhl wohl entgangen wäre, wenn nicht ein findiger G-man in der rechten unteren Ecke eine Autonummer und im Hintergrund eine Schaufenster­beschriftung entdeckt hätte, beide unleserlich, weil seitenverkehrt bzw. horizontal gespiegelt, aber trotzdem noch wahrheitsgetreu und unverzerrt dem Abgebildeten verpflichtet wie ein Druck dem (ebenfalls seitenverkehrten) Druckstock. Aber eben: unleserlich. Denn Schriftzeichen, und mit ihnen alle Zeichen, werden gespiegelt zu etwas ANDEREM (ausgenommen die symmetrischen wie die 8, die Großbuchstaben H, W, I oder ein stilisierter Adler auf einer Wappenscheibe), was ja den hinlänglich bekannten Unterschied zwischen Abbild und Zeichen ausmacht. Das kleine Wörtchen PIPIFAX mag dies illustrieren: Ursprünglich verwendeten die Juden den Gottesnamen YHWH (Jahwe) auch in griechischen Bibelübersetzungen. Es wurde festgelegt, dass die hebräische Schreibweise des so genannten Tetragrammatons exakt beibehalten werden soll. Es schrieb sich von rechts nach links. Die Schreibweise der Griechen war jedoch von links nach rechts, YHWH lasen die Griechen deshalb als HWHY. Die vier hebräischen Schriftzeichen ähnelten den griechischen und lasen sich für Griechen wie PIPI. Bei einer Lesung des Bibelfaksimile fragten die Griechen, was denn PIPI in dem Fax (für Faksimile) bedeuten soll. Es war für sie unverständlich, und deswegen sprachen Leser der Abschriften von einem PIPI-Fax. In der heutigen Umgangssprache bedeutet PIPIFAX soviel wie Unsinn, Kleinigkeit, Mist. Im Spiegelbild hat der Name Gottes also die Bedeutung Unsinn, Kleinigkeit, Mist – kurz, das Zeichen stimmt offensichtlich nicht mehr mit dem Bezeichneten überein. Doch zurück zur Fotografie: Wenn wir die fotografische Aufnahme eines Hauses horizontal spiegeln würden, bliebe alles gleich und doch nicht gleich. Was oben ist, bleibt oben, das Dach wäre am Ort, die Türe auch, die Fenster, der Kamin am rechten Platz; und doch wäre alles verkehrt, seitenverkehrt. Die Bedeutung jedoch änderte sich nicht: das Haus bleibt das Haus bleibt das Haus. Ein Betrachter müsste, sofern er den Ort und das Haus nicht aus eigener Anschauung kennen und erinnern würde, davon ausgehen, dass alles seine Ordnung hat. Aber nun hängen wir in Gedanken ein Schild ans Haus mit einer Aufschrift, sagen wir: JERRY COTTON. Auf dem gespiegelten Bild wäre nun NOTTOC YRREJ zu lesen, was zwar nichts bedeutet, aber für jeden des Lesens und Schreibens fähigen Betrachter Indiz genug wäre, dass etwas...

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Lieber Paul 2

Trmasan Bruialesi, 13.12.2017

Lieber Paul,

vier Uhr morgens, irgendwo rechts oben von Wichita, an Schlaf ist nicht zu denken. Der Parkplatz vor dem Motel lagert dunkelblaue Schwärze, auf der Veranda wirft die Eismaschine ab und an den Kompressor an, um gleich wieder zu verrecken, während drüben bei den Getreidesilos ein kalter Wind die Klagen der Lufthörner vorbeirollender Güterzüge abschöpft; sie tragen Namen wie Prime Horn, Nathan K5LA oder Leslie RS5T und werden über Internet in Kits angeboten, mit Luftpumpe und allem, was es so braucht – Sehnsucht pur. Wäre ich Künstler, ich würde mir eine Installation ausdenken mit Airchimes, dazu viel Blau, der Farbe des Horizonts, der Farbe der Einsamkeit, des Verlangens, der Sehnsucht, oder mit den Worten von Rebecca Solnit: »the color of there seen from here, the color of where you are not«. Blues. Im Badezimmer meines Elternhauses gab es ein Fenster, das sich gegen eine blaue Bergkette am Horizont hin öffnete. Als Kind saß ich oft auf der Toilettenschüssel und kniff ein Auge zusammen, um mit dem anderen einen besonders auffälligen Fliegendreck auf der schmutzigen Fensterscheibe mit dem Bergrücken in Übereinstimmung zu bringen. Neigte ich den Kopf nach links und rechts, nach oben oder unten, schrieb der Fliegendreck die Horizontlinie nach. Ein kleiner Wechsel der Haltung, der Perspektive – auch wenn eigentlich der Langeweile geschuldet – lässt Sehnsucht und Verlangen zum Eigentlichen werden, nicht deren Erfüllung. Das ging mir durch den Sinn, als ich gestern die Bekanntschaft mit einem alten Rancher machte, der mich an jemanden erinnerte, aber ich konnte nicht festmachen, an wen. Er erzählte mir, wie er es sich als junger Mann zur Aufgabe gemacht, und – wie er glaubhaft versicherte – es darin auch zur höchsten Meisterschaft gebracht habe, Stacheldrahtzäune schnurgerade durch die Great Plains zu ziehen. Zu diesem Zweck, sagte der Mann, habe er sich einer selbst gebauten Einrichtung, seiner Erfindung, bedient, die er mir auf mein ungläubiges Staunen hin umständlich und mit Hilfe von Skizzen erklärte: An einer senkrecht in den Boden gerammten Stange, die für gewöhnlich den Anfangspunkt eines Zaunes markiert, wird mittels Gurten ein bewegliches Gestänge aus Metall, einem Pantografen nicht unähnlich, angebracht; an dessen Ende festgeschraubt ein Fernrohr, das dank der parallelkinematischen Struktur des Gestänges auf einer Ebene beliebig gegen links oder rechts der Stange verschoben werden kann, ohne seine präzise Ausrichtung einzubüßen. Durch das Rohr blickend, erklärte der Mann, sei er nun in der Lage gewesen, die Linie der sich in der Prärie verlierenden Pfostenreihe kontrollieren zu können; wobei er über ein Telefon, das den Stacheldraht als Standleitung nutzte (es gab damals noch keine Handys sic.), seinen am Zaun beschäftigten Arbeitern habe laufend Anweisungen geben können, bis sie schließlich den Hori­zont erreicht hätten. Erst dann habe er, sagte der Mann, seine Einrichtung ab- und erst am neuen Horizont wieder aufgebaut. Ich glaubte ihm kein Wort. Nachdem wir uns verabschiedet haben, fiel mir endlich ein, an wen mich der Mann erinnert hatte: an die ­Vogelscheuche aus dem Zauberer von Oz.
 
Dein Trmasan


P.S. Habe ich Dir eigentlich schon geschrieben, dass traurige Menschen Blautöne schlechter unterscheiden können als fröhliche?

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Exodus. Gods and Kings

Trmasan Bruialesi, 06.04.2017

Lieber Paul,

 

kurz nach Deiner überstürzten Abreise aus Warschau habe ich mir in einem freien Moment die DVD gegönnt, die Du – ich ­nehme an, absichtlich? – liegen gelassen hast. Warum gerade Ridley Scotts Exodus: Gods and Kings von 2014? Du wirst Deine Gründe gehabt haben, und Du wirst dafür geradestehen müssen. Denn als nach einer eher lauen ersten Stunde endlich die erste Plage mit digitaler Wucht über Memphis hereinbrach, klopfte es an die Tür. Es war der junge deutsche Fotograf vom Vortag auf der Vernissage – ich hatte die Begegnung verdrängt und die Verabredung vergessen – in Begleitung seiner polnischen Freundin und seiner ­Mappe. Er trug Béret und Bart und wirkte auf eine selten selbstverliebte Art ehrgeizig; er arbeite, sagte er, an einem großen Ding, es werde ­»wielki«, fügte er kokett auf Polnisch an. Die wichtigsten polnischen Künstler/Künstlerinnen will er porträtieren, Musiker, Maler, Autoren, Fotografen und natürlich Filmemacher, um sie dann im Gummidruckverfahren zu verewigen, »unsterblich zu machen«, seine Worte. Ohne Dich mit technischen Details zu langweilen, musst Du wissen, dass der Gummidruck das bevorzugte Edeldruckverfahren der Piktorialisten Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war, ein Verfahren, das im Gegensatz zur klassischen Silber-Fotografie außerordentlich beständig ist, aber eben auch außerordentlich manieriert. Mit dem Gummidruck macht sich der Lichtbildner zum Maler der Ewigkeit. Mein Einwand, dass die Vergänglichkeit zur Genese der Fotografie gehöre, dass das Licht, welches das Bild erst zeichnet und dann sichtbar mache, es früher oder später auch wieder löschen dürfe, ja müsse; wobei: auch das stille Ver­rotten der Fotopapiere, der Platten und Filme in den Archiven sei nur ein sanftes Echo auf das Verwesen ihrer Barthes’schen Referenten; und ob er je Nicéphore Nièpces »Point de vue du Gras« im Original gesehen habe, die (im Gegensatz zu der von Gernsheim autorisierten, allgemein bekannten Reproduktion) kaum mehr lesbaren Spuren, welche das Licht vor 190 Jahren auf einer mit Judäa-Asphalt beschichteten Zinnplatte hinterlassen hatte – einem lichtempfindlichen Bitumen übrigens, das seit Urzeiten aus dem toten Meer gewonnen wird. Ich fragte ihn, ob er wisse, dass das persische Wort für Asphalt »mumia« lautet und im Alten Ägypten namensgebend war für das, was wir unter Mumifizierung verstehen: Künstliche oder natürliche Umstände verhindern Verwesungsprozesse zum Preis einer permanenten physischen Anwesenheit, welche doch nur die permanente geistige Abwesenheit manifestiert. Kurz, sagte ich, Gummidrucke sind die Mumien der Fotografie! Rückblickend war das wohl der Punkt, an dem ihn seine polnische Freundin zum Aufbruch drängte. Als sich die beiden leicht indigniert verabschiedet hatten, ohne dass wir auch nur ein einziges seiner Bilder betrachtet oder besprochen hätten, fühlte ich mich müde, ausgelaugt und ergab mich erneut den Plagen über Memphis, verschlief die Flucht der Israeliten und wurde erst von den aufgepeitschten Wassermassen des Showdowns geweckt – kein wirklich erhabenes Erwachen. Weißt Du, was ich an dieser Verfilmung wirklich vermisse? Die Szene, die sonst in keinem Bibelfilm fehlen darf, weil von unglaublich mythologischer Kraft: Exodus Kapitel 2 Vers 1–10, die mit dem kleinen Mose, ausgesetzt auf dem Nil in einem »Kästlein von Rohr«, wie Luther übersetzte, von seiner Mutter verklebt »mit Erdharz [sic!] und Pech«, um es ­wasserdicht zu machen – oder gar licht­dicht? War das Kästchen eine Kamera? War Mose ein Film? Sicherlich, das ist ein Kurzschluss, aber was für einer!


Dein Trmasan

 

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